STÄDTE EUROPAS
An das Europäische Projekt glauben und sich dafür begeistern, setzt selbstverständlich voraus, dass man sich kritisch mit der Geschichte Europas auseinander gesetzt hat: Die falsch verstandenen Machtansprüche der kolonialen Vergangenheit und die damit verbundenen Kriege, Unterdrückungen und Ausrottung ganzer Kulturen müssen klar benannt und überwunden werden. Dies ist eine Aufgabe aller Europäer, die mit großem Engagement und Ehrlichkeit weiter fortgesetzt werden muss!
mehr lesenWenn das Europäische Projekt eine Zukunft haben soll, dann genügt es nicht, die politische und wirtschaftliche Struktur dieser Union voranzubringen, sondern es ist an der Zeit, den „Sinn“ eines solchen Zusammenschlusses vieler Staaten zu reflektieren. Hier sehe ich meine Aufgabe als Künstler. Der Begriff „Sinn“ suggeriert eine Einheit. Doch wie könnte diese Einheit Europas aussehen? Der tschechisch-französische Schriftsteller Milan Kundera hat sein Ideal von Europa als ein Maximum an Vielfalt in einem Minimum an Raum formuliert. Vielfalt als Einheit? Können wir das denken? Meine Städteporträts, die ich seit vielen Jahren mit den Mitteln der digitalen Fotografie und deren anschließender Bearbeitung erstelle, positionieren sich im Raum dieser Frage. Jede Stadt ist ein komplexes Gebilde aus Geschichte, Architektur, Kultur, Alltagsleben … und es heißt, dieses „Gemisch“ in seiner Besonderheit, Schönheit und Widersprüchlichkeit in den Blick zu bringen, und zwar nicht nur einmal, sondern viele Male! Daraus ergeben sich Bildformen, in denen das perspektivische, lineare Schema überwunden ist und einer verdichteten Komposition Platz macht. Ich bemühe mich auf diese Weise, die Einheit in der Vielfalt oder besser gesagt: „den vielfältigen Sinn einer Europäischen Union“ visuell erfahrbar zu machen. In meinen exzessiven Stadterkundungen sind mir die „Blickpunkte“ oft zugefallen, das heißt, dass ich meine Position als souveräner Konstrukteur von Welt aufgegeben habe und mich auf oft Übersehenes, an den Rand Gedrängtes oder Abgewertetes eingelassen habe.
Ja, meine Stadtporträts sind Zumutungen für jede Betrachterin und jeden Betrachter, sie sind nicht für das schnelle Sehen gemacht. Doch vielleicht können diese Bilder auch als „ZuMutungen“ verstanden werden, sich im vielfältigen Denken und Sehen zu üben.
Etwas von der Seite, mit sprechenden Augen und leicht geöffnetem Mund schaut ein Mädchengesicht aus Neissers Den Haag-Bild heraus, umgeben von einem dichten Gewebe aus Straßen, Gebäuden, Plätzen, Geschichte und Kultur der Stadt. Die unbekannte Schöne ist weltberühmt: Jan Vermeer malte sie 1665 als „Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“. Mit diesem Bildnis eines einfachen Mädchens beschenkt uns Vermeer mit der Ahnung, dass es Schönheit gibt. In keiner anderen Stadt der Niederlande ist die Gründungsgeschichte des Landes so präsent wie in Den Haag. Diese Geschichte erzählt von dem Kampf der nördlichen Provinzen der Niederlande, die sich von dem Joch der spanisch-habsburgischen Herrschaft befreiten. Der Krieg dauerte 80 Jahre und brachte den Menschen in Europa Elend und Tod. Vielleicht ist es kein Zufall, dass in Den Haag seit 1946 der Internationale Gerichtshof der UNO tagt, die Akademie für Internationales Recht hier ansässig ist und eine der größten Bibliotheken der Welt zum Thema Völkerrecht aufgebaut wurde. In Neissers Den Haag-Bild werden diese geschichtlichen, politischen und kulturellen Elemente visualisiert und in Beziehung zueinander gesetzt. Zu diesem Bild gibt es ein kleines Beiheft, in dem die verdichteten Fäden in Neissers Bild etwas entwirrt werden.
Bei einem Köln Bild erwartet man, den Dom, den Rhein, die Brücken an prägnanter Stelle zu sehen. Doch in Neissers Bild schaut uns ein „russisches Mädchen“ mit einem roten Stern auf ihrer Budjonovka lächelnd an. Dieses Bild eines jungen Mädchens wurde in einem Artikel der Kölner Lokalzeitung einmal die „Mona Lisa von Köln“ genannt. Martin Kippenberger malte es 1983 und gab ihm den Titel: „Sympathische Kommunistin“. Die kuriose Geschichte zu diesem Bild wird ausführlich in einem kleinen Beiheft zu Neissers Köln-Bild beschrieben. Hier finden Sie auch, was es mit dem Schriftzug: Statt Archiv auf sich hat und viele andere kleine und große Geschichten dieser von Neisser so geschätzten Stadt.
Bei vielen Kulturinteressierten steht die Stadt Le Havre nicht an erster Stelle. Le Havre gilt als eine Stadt aus der Retorte, aufgebaut aus Beton nach der totalen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Nachdem aber genau dieser Neuaufbau 2005 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt wurde, änderte sich die Sicht auf die Hafenstadt. Die nach einem Plan des Architekten Auguste Perret wieder aufgebaute Stadt mit variationsreichen Wohnblöcken und einem neu strukturierten Straßennetz, das sich zum Meer hin öffnet, können wir heute ganz anders wertschätzen. Le Havre ist eine Stadt, in der die Geschichte ihres wiederholten Niedergangss und Wiederaufbaus in sehr besonderer Weise lebendig ist.
Die Physionomie Triests ist bis heute von dem Stadtentwurf der Habsburger im 18.Jahrhundert geprägt. Maria Theresia, die 1740 ihrem Vater, Kaiser Karl VI, auf den Thron folgte, ließ die Mauern der alten Stadt einreißen und in wenigen Jahrzehnten ein modernes Triest nach den Vorbildern von Wien und Prag errichten, bewohnt und bestimmt durch ein Unternehmer-Bürgertum. In der Mitte von Neissers Triest-Bild erkennen wir die Piazza dell‘Unità d‘Italia mit ihren repräsentativen Gebäuden und Denkmälern dieser Zeit. Der Platz gilt als das Herz der Stadt. Die Größe ist beeindruckend und durch seine Lage direkt am Wasser öffnet der große Platz die Stadt für die Weite des Meeres. Viele berühmte Literaten lebten in dieser Stadt: Italo Svevo, Umberto Saba und James Joyce. Neisser spaziert auf seinem Triest-Bild mit ihnen am Ufer entlang und hört ihren Beschreibungen der Stadt zu. Sie erzählen von dem politischen, sozialen und kulturellen Zusammenbruch der alten europäischen Ordnung, der in dem Drama des Ersten Weltkrieges gipfelte. Auch zu diesem Bild gibt es ein Beiheft, das sich ausführlich den vielen Details auf dem Bild widmet.
Noch Kaiser Karl der Große wusste um die kulturelle und politische Bedeutung Ravennas im spätrömischen Reich, als er den Grundriss der Kirche San Vitale für seine Pfalzkapelle in Aachen übernahm. Außerdem scheute er sich nicht, aus dem ehemaligen Stadtpalast und einigen Kirchen Ravennas Spolien, Monumente und Wanddekorationen zu entwenden. Wir finden also in Aachen ein „Stück Ravenna“. Das Zentrum von Ravenna ist heute eine lebendige italienische Innenstadt mit vielen Plätzen, Cafés, Geschäften, Wohnhäusern, Gärten und Grünanlagen. Neisser erlebte Ravenna im Sommer als eine blühende, junge Stadt, in der auch Graffitis ihren Platz neben den historischen Sehenswürdigkeiten gefunden haben. In seinem Ravenna-Bild würdigt er die große Vergangenheit dieser Stadt und zeigt uns, wie wir mit allen Sinnen in sie eintauchen können. In einem kleinen Beiheft erfahren Sie mehr über die Details des Ravenna-Bildes.
Dem berühmten Turm der Domkirche St. Stephan, dem von dem Künstler Friedensreich Hundertwasser gestalteten Turm der Müllverbrennungsanlage Spittelau und dem 1999 fertiggestellten Bürotum Millenium Tower – alle drei Gebäude sind markarte Wahrzeichen von Wien – stellt Neisser drei Frauengestalten entgegen, die die Fassaden des Karl-Marx-Hofs in Wien schmücken. Als 1918 die Monarchie des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn zusammenbrach, löste sich eine jahrhundertealte Ordnung auf, Verelendung breiter Bevölkerungsschichten und der Massenexodus einer halbe Million Menschen waren die Folge. Doch in diesem Chaos gab es auch Platz für eine Utopie: 1919 wurde Wien zur weltweit ersten großen Stadt, in der die Sozialdemokraten an die Macht kamen. Eines der bekanntesten Gemeindebauprojekte war der 1930 fertiggestellte Karl-Marx-Hof, mit einer Länge von 1500 Metern der längste zusammenhängende Wohnbau der Welt. Auf dem Bild von Neisser markiert er mit seiner prägnanten Form die Horizontale des Bildes. Und die drei Frauen? Sie stellen die Personifikationen der „Freiheit, Körperkultur und Aufklärung“ dar. In roten Lettern wird eine Strophe des Liedes „Die Arbeiter von Wien“ zitiert, das wahrscheinlich 1927 während der Julirevolte in Wien entstanden ist. Für Neisser steht es u.a. für die harten Kämpfe der Arbeiter mit den sich formierenden Kräften des Austrofaschismus. "So flieg’, du flammende, du rote Fahne. Voran dem Wege, den wir ziehn. Wir sind der Zukunft getreue Kämpfer. Wir sind die Arbeiter von Wien."
Wie die Nadel eines Kompasses weist der Südturm des Wiener Stephansdoms auf den markant ins Bild gesetzten Schriftzug: Spuren wechseln. Neisser feiert in diesem Bild die Vielfalt der Kunstformen und ihren belebenden Einfluss auf unser Denken und Fühlen. Wir werden nach Wien entführt, die Stadt, in der wir uns sowohl der großen Prachtentfaltung der Habsburger Dynastie bewundernd hingeben können, als auch den zu allen Zeiten widerständigen Gegenströmungen wacher Zeitgenossen/innen. Neissers Stadtkomposition verdichtet sich in dem Aufruf zum Spurenwechsel zu einem Plädoyer für eine multikulturelle Sicht, deren Urteile sich nicht an vorgeformten Denkmustern orientieren, sondern das „Spuren wechseln“ als eine Einübung für ein zukünftiges Miteinander und Nebeneinander vieler Kulturen sieht.
Venedig zu erleben heißt, die hohe Schule der ästhetischen Wahrnehmung zu absolvieren und sich mit allen Sinnen dieser faszinierenden Stadt zu ergeben. Neisser hat Venedig immer wieder besucht und in vielen Jahren ein Archiv hunderter Fotos angelegt. Für sein Venedig-Bild schöpft er aus diesem Fundus und entwirft eine verdichtete Komposition von mehr als 200 Ebenen, die er als eine Hommage an den schöpferischen Geist der Venezianer versteht.
Venedig, wie es nur Venedigkenner kennen, die häufig die Stadt mit den umliegenden Inseln auf Entdeckungsreise besucht haben
Den Hintergrund von Neissers London-Bild strukturiert das Relief an der Eingangsfassade des Britischen Museums mit dem Titel: Der Fortschritt der Zivilisation. Die Stahlseile der Tower Bridge spannen sich als blaues Muster über das gesamte Bild. Sie sehen die Skyline von London mit dem bekannten Swiss-Re-Tower, erbaut von Norman Forster 2004. Auch Big Ben ist zu erkennen. Die gelbe Silhouette zeichnet den Turm der Modern Tate Gallery nach, ursprünglich ein Kraftwerk und heute ein beeindruckendes Museum der zeitgenössischen Kunst. Das Victoria Denkmal vor dem Buckingham Palace, die Nelson Säule auf dem Trafalgar Square und Zitate aus berühmten Songs über das „Swinging London“ verdichten sich zu einem gefühlten und erlebten Bild von London.
Diese Gegend gehört zu den schönsten Gebieten in Südwestfrankreich und das Bild Neissers feiert sie mit den herrlichsten Farben und Formen. Im Hintergrund des Bildes ist nicht nur die Struktur der Rinde einer Korkeiche zu sehen, sondern auch ein Haufen Fischreusen aus dem Hafen von Cerbere, deren Struktur man im roten Himmel erkennen kann. Der orangefarbene Himmel entspricht einem Originalfoto um die Weihnachtszeit über Torderes, dessen Silhouette man in der Senke sieht. Den Schriftzug "Banyuls" fand der Künstler als eine abgeblätterte Inschrift an einem Haus mit dem darunter liegenden Satz: "De la vieille toi". Das Gebirge ist der Canigou, den Neisser bei klarem Wetter oberhalb von Torderes aufgenommen hat. Das Vorderland der Aspres wird als Landschaftskultur dargestellt - sehr expressiv - mit Baumreihen von Pinien, Zypressen, Kakteen und herrlichen Mimosen, die schon im Januar blühen.
In der Toskana, südlich von Grosseto, hat die Künstlerin Niki de Saint Phalle ihren großen Lebenstraum verwirklicht: 1979 begann sie auf dem Grundstück ihrer Freunde riesige, begehbare Skulpturen zu bauen, die sich an den Spielkarten des Tarot orientieren. Sie lebte und arbeitet viele Jahre in ihrem Projekt und überwand große Hindernisse wirtschaftlicher und handwerklicher Art. Heute erleben wir den Tarot-Garten wie einen Märchengarten und man begegnet begeisterten Menschen, die sich wie Kinder an dieser bunten, schillernden Welt erfreuen.
Kennen Sie die großartige Bilderserie des impressionistischen Malers Claude Monet: Die Kathedrale von Rouen? Die Farbigkeit und feinen Strukturen von Neissers Rouen-Bild erinnern an diese Bilder des Malers. Monet lebte mehrere Monate in Rouen. Wenn man auf dem kleinen Platz inmitten der Stadt vor der mächtigen Kathedrale steht, kann man den Mut und die Inspiration Monets nur bewundern: Das steinerne Monument löst sich vor unseren Augen in Licht und Farbe auf. Doch die Stadt an der Seine hat noch vieles mehr zu bieten: Auf dem alten Marktplatz der historischen Hauptstadt der Normandie ließ Johanna von Orléans, die „eiserne Jungfrau", im Jahre 1431 ihr Leben auf dem Scheiterhaufen. Im späten Mittelalter und in der Renaissance war Rouen mit etwa 40.000 Einwohner eine Großstadt nach europäischen Maßstäben, von der noch zahlreiche und bedeutende kirchliche und profane Bauten erhalten geblieben sind. Victor Hugo hat die Stadt als „Stadt der hundert Kirchtürme“ bezeichnet. All diese geschichtlichen und kulturellen Elemente verschmelzen in dem Rouen-Bild Neissers zu einer einzigartigen Komposition.
Der aufgerichtete rote Löwe mit Krone und Doppelschwanz des Stadtwappens von Düsseldorf verweist auf die lange Geschichte der Landeshauptstadt. Statt nach dem blauen Anker greift Neissers Löwe auf dem Bild nach der Silhouette des Medienhafens. Oder ist das Düsseldorfer Wappentier unterwegs zum „Rheinturm“, dem markanten Wahrzeichen am Eingang zum Hafen. Hier befindet sich in 172 Meter Höhe ein Restaurant, von dem aus man einen umwerfenden Blick über die Stadt hat. Doch wer sind denn die kleinen Kletterer, die Neisser überall auf den spektakulären Gebäuden des Medienhafens und des Rheinturms herumklettern lässt? Sie heißen Flossis und wurden 1998 anlässlich der Eröffnung des Deutschen Kunststoff-Museums im NRW-Forum am Rhein von der Künstlerin Rosalie entworfen und weil die Düsseldorfer die bunten Kletterer ins Herz geschlossen hatten sind die Flossis von der Unternehmensgruppe Klüh erworben, der Stadt Stadt geschenkt worden und dürfen seit 2002 im Medienhafen herumturnen. An die schräge Fassade des von Frank O. Gehry geplanten Gebäudeensemble haben sie sich allerdings noch nicht herangewagt. Die drei Gebäude – 1999 fertig gestellt - wirken wie eine riesige Skulptur und überraschen noch heute jeden Besucher durch ihre unterschiedlichen Fassaden aus: strahlend weißem Putz, Backstein und spiegelndem Glas.
Die Stadt Amsterdam steht für Kultur, Geschichte und Weltoffenheit. Wer kennt sie nicht die berühmten Grachten, die sehenswerte Altstadt, die geheimen Innenhöfe und die eindrucksvollen Museen dieser Stadt. Doch es gibt auch ein anderes Amsterdam, das im Zuge der Wiederentdeckung des Flussufers und der alten Hafengebiete neu entdeckt und bebaut wurde. Das Gelände der Oosterdoks-Inseln ist ein solches Gebiet. Hier standen die 1953 erbauten Hallen des Postverteilerzentrums, die seit Anfang 2003 nicht mehr genutzt wurden. Der Bau der neuen öffentlichen Bibliothek von Stararchitekt Jo Coenen zeigt, wie man heute Stadt konzipiert. Der architektonisch eindrucksvoller Eingangsbereich der Bibliothek – durch den Einsatz von Muschelkalk hervorgehoben – ist als öffentlicher Raum gedacht. Wolfgang Neissers Bild feiert dieses neue Amsterdam. Der Schriftzug „Bibliothek“ fährt sozusagen von oben ins Bild und öffnet den Blick für ein modernes Leben in einer alten Stadt.
Der rote Schriftzug "never forgot is the bomb terror plot May 14th 1940“ erinnert an den deutschen Luftangriff und die darauf folgenden Brände, die die Innenstadt von Rotterdam fast vollständig dem Erdboden gleich machten. 800 Menschen starben und fast 80 000 Rotterdamer wurden obdachlos. Etwas später zerstörte das deutsche Militär auch weite Teile des Hafens. Das alte Rotterdam verschwand. Die Bronzeplastik des belarussisch-französischen Bildhauers Ossip Zadkine – man sieht sie auf dem Bild Neissers über dem Schriftzug – gibt diesem Trauma eine Gestalt: Es ist ein Mann, dessen Herz herausgerissen wurde und der verzweifelt seine Arme erhebt. Rotterdam wurde modern wieder aufgebaut und das, was verblieben war, liebevoll restauriert. Unten links sieht man das „Weiße Haus“, 1898 erbaut und damals das höchste Bürogebäude Europas. Die vielen Kräne stehen für den Wiederaufbau des Hafens. Neisser setzt den Brückenpfeiler der Erasmusbrücke, das 1996 fertiggestellte neue Wahrzeichen von Rotterdam, ins Zentrum seines Bildes. Die Brücke verbindet die Innenstadt mit den ehemaligen Hafenanlagen auf der anderen Seite der Nieuwe Maas. Hier bauten und bauen die bekanntesten Architekten der Welt eindrucksvolle Gebäudeensemble, deren Formen und Konstruktionen das Bild Neissers beleben. Das winkende Kleinkind war eine Werbeidee zur 75-Jahre-Feier des Wiederaufbaus. Es grüßte damals von vielen Gebäuden, Zäunen und Bahnen die Bewohner und Besucher der Stadt.
Auf der offiziellen Website der Stadt Gent heißt es: „Gent sprüht vor Leben und ist einen Wochenendtrip absolut wert. Das eigenwillige Gent bietet einen köstlichen Kulturcocktail, der von Geschichte, Kultur und trendigem Stadtleben überschäumt. Gent ist wirklich chillig – alles ist möglich, eine Städtereise nach menschlichem Maß.“ Und im Folgenden werden die Highlights von Gent aufgeführt. In Wolfgang Neissers Gent-Bild wird Ihnen nicht ein „chilliges“ Gent vorgefürt. Die angepriesenen Sehenswürdigkeiten wie die Sint Jakobskerk, die Sint Pieterskerk, die Burgen Duivelsteen und Gravensteen, die Sint Baafskathedral mit dem Genter Altar … findet man als Postkarten-Reihe am oberen Rand des Bildes, allerdings in schwarz/weiß und nicht besonders spektakulär in Szene gesetzt. Statt dessen wird Neissers Bild durch zwei hoch aufragende Gebäude beherrscht: Auf der rechten Seite sieht man die prägnanten Umrisse des „Boekentoren“, ein 1933 von dem Architekten und Künstler Henry van de Velde 64 Meter hoher Turm für die Bibliothek der Stadt. Dieser Turm sollte ein ein neues Wahrzeichen der Stadt sein, ein Zeichen für Bildung und Wissenschaft. Ihm gegenüber hat Neisser ein schon in die Jahre gekommenes Hochhaus am Stadtrand von Gent gesetzt, das gerade saniert wird. Die Fotos hat Neisser 2015 gemacht und er ist der Meinung, dass auch diese Bilder einer Stadt wahrgenommen werden sollen. Erwähnenswert ist der Schriftzug: „Museum Dr Guislain“ unten links im Bild. Neisser verweist auf die älteste Nervenheilanstalt Belgiens, 1857 von dem visionären Genter Arzt Guislain gegründet. Er war einer der ersten, der psychisch Kranken das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung zusprach. Seit 1986 ist die Nervenheilanstalt ein Museum und Neisser war u.a. begeistert von den Kunstwerken der ehemaligen Patienten. Unten im Bild taucht der zur Weltausstellung 1913 eröffnete neue Sint-Pieters Bahnhof auf. Er steht heute unter Denkmalschutz. Die roten Wege durch das Bild Neissers finden sie auch in Gent. Allerdings stoßen wir auf Neissers Wegen durch das Bild auf viele kleine Details, die der Künstler in der Stadt entdeckt hat: Schilder, Schaufensterdekorationen, Schriftzüge ...
Mit großen Buchstaben quer durch das Bild lässt Neisser das Thema seiner „Stadtverdichtung“ anklingen: WO IST MEIN GENT GEBLIEBEN. Es geht um die „Stadtverhübschung“ zur Weltausstellung 1913. Große Teile des Stadtzentrums - zum Beispiel die beiden Ufer der Leie: Graslei und Korenlei – wurden im mittelalterlichen Stil restauriert, jedoch nicht immer nach Gesichtspunkten des Denkmalschutzes, sondern im Hinblick auf eine touristisch attraktive Altstadt. Wir sehen die Kulisse der Graslei im unteren Teil des Bildes von Neisser. Hier wuchten auch gerade fünf Männer eine Wand in Position. Doch es ist keine Kulissenwand, die zu den hübschen Giebelhäusern passt, sondern auf ihr sehen wir drei Bilder eines ehemaligen Patienten der Nervenheilanstalt Dr. Guislain, dieser ersten Klinik für psychisch Kranke, in der sie das Recht auf menschenwürdige Behandlung erhielten. Anlässlich der Weltausstellung setzte man auch ein riesiges Denkmal der Gebrüder van Eyck neben die Sint Bavo Kathedraal, wo man heute den berühmten Altar der van Eycks bewundern kann. In Neissers Bild scheint das protzige Denkmal im Hintergrund seines Bildes auf. Die Silhouette der Sint Niklaaskerk im Herzen der Genter Altstadt beherrscht die Mitte des Bildes. Die Kirche gehört zu den bedeutendsten gotischen Kirchenbauten Mitteleuropas und zeugt von dem Reichtum der Stadt im Mittelalter. Vom Dach der Kirche prostet uns dann auch der Kaufmann und Stadthauptmann Jacob van Artevelde zu, der die Stadt Gent im 14. Jahrhundert überzeugte, sich mit England zu verbünden, um gegen den französischen Adel vorzugehen. Oder will der Stadthauptmann eher dem schönen Mädchen imponieren, eine Schaufensterpuppe aus einem Antikladen? Links im Bild sieht man die Silhouetten der „Knienden“. Sie gehören zu einem Brunnen, den der belgische Künstler Georg Minne 1937 geschaffen hat. Allerdings scharen sich die "Knieenden" hier um einen Engel des Genter Altars. Einige Graffitis geben Neissers Bild eine besondere Note: ein Dinosaurier auf einem Fahrrad, der auf dem Schriftzug balanciert und ein Käfer, der auf der Graslei unterwegs ist, vielleicht zu der Nackten, die ihre Beine in der Leie badet. Neisser hat die Skulptur an der Fassade des Touristenzentrum entdeckt.
Dieses Berlin-Bild ist eine sehr persönliche Liebeserklärung des Künstlers Wolfgang Neisser an die Stadt. Er lebte dort in den 1970er Jahren. Ein Freund von ihm aus dieser Zeit schaut vieldeutig von oben aus dem Bild heraus. Für Neisser und seine Freunde war Berlin ein Lebensgefühl, das wir heute kaum noch nachvollziehen können. Damals hätte man nicht gedacht, dass der Fernsehturm – 1965-1969 von der „Deutschen Post der DDR“ erbaut und als nationales Symbol des Fortschritts gefeiert – nach 1989 zu einem gesamtdeutschen Wahrzeichen der Wiedervereinigung werden wird. Neisser lässt den Fernsehturm in der Gestalt eines Tänzers enden, der mit seiner Partnerin das Schild von Clärchens Ballhaus ziert. Diese Lokation, 1913 in einem Hinterhaus in der Auguststraße eröffnet, steht für eine in Berlin besonders geschätzte Tradition des Vergnügens an Tanz, Musik, Varieté und Theater. Auch der Schriftzug „Wintergarten“ erinnert an diese Tradition. Ursprünglich gehörte der „Wintergarten“ zu dem Central-Hotel südlich des Bahnhofs Friedrichstraße. Der Hotelbesitzer veranstaltete in dem großen, 1887 gebauten und mit Palmen bestückten Saal Varieté-Vorführungen, die später Weltrum erlangten. 1944 wurde das Gebäude durch einen Bombenangriff zerstört. Es war das vorläufige Ende des „Wintergartens“ an diesem Ort. 1992 wurde die Idee des „Wintergartens“ durch drei Visionäre neu belebt: Peter Schwenkow, der Künstler André Heller und der Circus-Roncalli-Chef Bernhard Paul. Als Neisser 2014 durch Berlin streifte, war er beruhigt, denn den „Wintergarten“ gibt es noch, zwar unter einer anderen Leitung aber nach wie vor mit einem sehenswerten Programm. Unten im Bild sehen Sie den steinernen Kopf von Heinrich Mann, dessen Grabmal Neisser auf dem Alten Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin fotografierte. Ein Foto aus der Verfilmung des „Untertans“ kopierte Neisser auf den Sockel des Grabmals. Die Büste der Nofretete erscheint als Doppelporträt links im Bild. Neisser hat in diesem Berlin-Bild viele kleine und große Geschichten verdichtet. Wenn Sie sich als Betrachter auf die Suche begeben, werden Sie vieles entdecken.
Zwei Kunstwerke flankieren den Turm des Charlottenburger Schlosses (wie ein Heiligenschein schwebt die Rotunde der Gemäldegalerie über dem Schlossturm) in der Mitte des Bildes von Wolfgang Neisser. Rechts sieht man ein tanzendes Frauenpaar, ein Ausschnitt aus einem Bild der Malerin Jeanne Mammen, 1928 gemalt. Bubikopf, melancholischer Blick und eng anliegende Kleidung – die lange im Verborgenen arbeitende Malerin Jeanne Mammen zeigt in ihren frühen Bildern die Frauenwelt der 20er-Jahre in Berlin. Im Nationalsozialismus tauchte sie unter und ging in die innere Emigration. Erst 1960 – sie war 70 Jahre – wird sie wieder entdeckt. Neisser sah 2017 eine Jeanne-Mammen-Retrospektive in der Berlinischen Galerie und war so begeistert, dass er sie auf seinem Berlin-Bild würdigte. Auch das zweite Kunst-Zitat – der Affe an den Leine - links im Bild ist eine Würdigung. Neisser besuchte im Hamburger Bahnhof eine Ausstellung des Tiermalers Walton Ford. Die großformatigen Aquarelle erinnern auf den ersten Blick an naturkundliche Darstellungen früherer Jahrhunderte. Erst auf den zweiten Blick nimmt man die vielen ironischen Anspielungen auf menschliche Verhaltensweisen wahr und versteht den hintergründigen Titel der Ausstellung: Bestiarium. Den Affen hat Neisser direkt vor der Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße gesetzt. Das Gebäude wurde 1866 eingeweiht, 1938 von dem mutigen Reviervorsteher Wilhelm Krützefeld vor der Zerstörung gerettet und 1943 durch britische Bomber schwer beschädigt. Ein Teil der Synagoge konnte gerettet werden und ist gegenwärtig ein jüdisches Kulturzentrum. Unten im Bild platziert Neisser den Kabarettist und Schauspieler Wolfgang Neuss, der nach einem bewegten Leben in einer Wohnung in Charlottenburg „Hof“ hielt und die Besucher mit kabarettistischen Monologen unterhielt. Neben ihm sieht man das Denkmal von Marx und Engels, das auf dem Marx-Engels-Forum in Berlin Mitte steht. Die Fische am oberen Rand von Neissers Bild mit der dazugehörigen Gedichtzeile: Manch Plötze schwamm einst in der Spree – viel Blut schwamm dann in Plötzensee – erinnern an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 durch rechtsgerichtete, konterrevolutionäre Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division.
Bodeinsel, die Millionen schwere Kunsttruhe der Nation. In diesem Bild habe ich die Brücke auf die Museumsinsel, die südliche Monbijoubrücke, die den preussischen Adler, aus Eisen geschmiedet, im Mittelpunkt des Geländers trägt, ebenso in den Mittelpunkt gerückt. Der eiserne Adler sagt mehr über die alten und neuen oder neu restaurierten Museen der alten Reichshauptstadt und neuen Bundeshauptstadt aus, als die Namen und Bilder der einzelnen architektonisch neu gestalteten oder aufgehübschten Museen. Vor dem Reichstag sah ich im Sommer 2014 ein Mädchen sitzen, deren Anblick mich nicht mehr losließ. Diese junge Frau verkörperte das neue Berlin mit kurzer Hose und T-Shirt und saß in einer Unbeschwertheit in der Nähe des alten Gebäudes, dass es kontrastreicher nicht sein konnte. Um eine Verbindung zum alten Berlin zu schaffen, kombinierte ich den Körper des Mädchens mit dem Antlitz der jungen Marlene Dietrich, die wie kaum eine andere Frau den Widerspruch der Stadt und der Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verkörperte. Alle weiteren grafischen Zugaben sind Hinweise und ironische Bemerkungen zum Zustand des neuen Deutschen Staates nach der Wiedervereinigung. Das wichtige typografische Zeugnis stammt von Bazon Brock, dem Kulturwissenschaftler: „Der Tod muß abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muß aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.“ Um dem Bild zusätzliche Details mitzugeben, krabbeln Küchenschaben über das Bild. Alle andere grafischen Zitate verdeutlichen meinen subjektiven Gesamteindruck, den ich damals hatte.
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Auch dieses Bild vereinigt die Sicht des Fotografen auf die aktuellen Zustände in Griechenland und beschäftigt sich insbesonders mit dem Stadtteil Exarchia, den ich mehrmals fotografisch durchstreifte.
Barcelona als mutiples Anschauungsbild einer gewachsenen und immer wieder neu erfundenen Urbanität
Panorama-Gesamtbild der Stadt und seiner Geschichte als Industriemetropole des Baskenlandes und der Neuerfindung im rahmen der Ernennung zur Kulturhauptstadt
KÖLN - Mülheim - Der Wiener Platz - der Rhein - die Mülheimer Freiheit - Brücken und Straßen - Alles, was dieses besondere Viertel ausmacht - 350 x 210 cm - Wandbild im Flur Clevischer Ring 93 - Dibond mit oder ohne Acryl