Mind the gap between Calais and Dover before leaving Europe
Denkt Mensch sich die alles überragenden Hochhäuser, Skyscraper oder seltsame Architekturphantasien rund um die Kathedrale einfach weg, versteht Mensch, dass diese Kuppel allen, die vor 250 Jahren in London lebten und denjenigen, die London besuchten immer wie ein Wunderwerk der Baukunst vorgekommen sein muss.
Big Ben, der wegen seiner Glocke „Great Bell of Westminster“ flapsig so genannt wird und bei wikipedia mit der Hypothese vertreten wird, dass der Turm wegen Benjamin Hall, dem Baumeister oder nach Ben Caunt, einem Schwergewichtsboxer, der 1857 seinen letzten Fight hatte, seinen Namen fand. Der letzte Hammerschlag soll 1858 gefallen sein und auch die Westminster Cathedral ging ihrer Vollendung 1790 entgegen, aber St. Paul wurde schon 1709 eingeweiht, wenn das stimmen sollte. Also überragte 81 Jahre lang die Kathedrale die Londoner City, die in diesen Jahren noch überschaubar groß war. Schaut nach bei Jonathan Swift.
Mensch und Frau waren wegen dringend einzuhaltender Verpflichtungen nahezu gezwungen, das Monument der britischen Geschichte nicht nur zu betreten, sondern auch eingehend kunstgeschichtlich und architektonisch zu examinieren und sich den gesamten Kladderadatsch auch noch zu merken.
Die Stuckateure und Kirchenmaler, die Möbeltischler und Bildhauer haben sich redlich bemüht, aber herausgekommen ist dabei nichts bedeutend Außergewöhnliches. Eben St. Paul´s Cathedral in London´s Ctiy. Wenigstens sieht Mensch diese Tatsache in seiner subjektiv gestimmten Beurteilung. Das gesamte Kirchenschiff zeigt eine solide Innenausstattung einer der Zeit entsprechenden Barockkirche im English Style. Allein die Ansammlung vieler Grabplatten und Sarkophage fallen Mensch besonders auf und auch das von perfekten Schnitzereien gestaltete Chorgestühl mit dem leuchtend warmen Schein der vielen hintereinander stehenden Tisch- oder Leselampen. Das findet Mensch eine wirklich gelungene Kombination aus Gestühl aus edlem Hölzern und einer Lichtstaffette , die alles sehr erhaben erscheinen lässt. Bedeutend ist vor allem die sehr hohe, ornamental bemalte Kuppel, in dessen Scheitelpunkt eine 750 tonnenschwere Laterne in 111 Meter Höhe installiert wurde. In halber Höhe bei ungefähr acht-bis 10 Metern umrundet ein schmaler, mit einem Geländer bewehrter Steig die gesamte Kirche. Dieser schmale Grat soll begehbar sein, aber ehrlich gesagt, vermittelt nur ein Blick darauf wenig vertrauenswürdiges.
Die Krypta unterhalb des Bauwerks ist allein wegen der Gräber von Sir Alexander Fleming, dem Entdecker des Penicillin, William Holman Hunt, einem britischen Maler, Admiral Lord Nelson, dem Held von Abukir und Trafalgar, dem Kolonialkrieger Garnet Wolseley und auch Sir Arthur Sullivan, einen für die Briten bedeutenden Komponisten. Kunst und Befehlsgewalt nebeneinander, das können nur Staaten oder Königreiche, die beides als national wichtig erachten. Siehe Paris das Pantheon, aber dort zeigen die Porträts in der Kuppel neben Künstlern aller Disziplinen, Wissenschaftlern, Forschern, Persönlichkeiten des sozialen Lebens auch Widerstandskämpfer und kontroverse Denker. In London´s St. Paul´s überwiegen eindeutig die Militärs als aktive Kriegsteilnehmer, die als oberste Befehlshabende die Soldaten für jede mögliche Kriegshandlung schleifen ließen, um sie im Ernstfall in jedes Schlachtgetümmel schicken zu können.
Mensch denkt nach und lässt die Länder des British Empire Revue passieren und stellt fest, dass der Begriff Commonwealth, also eigentlich „Gemeinsam zu erreichender und bewahrender Wohlstand“ auf sehr viel Blutvergießen in Afrika, dem Orient und Asien begründet wurde. Egal, wir Deutschen brauchen uns nicht darüber mokieren, denn unsere Vorfahren waren auch keine Chorknaben und haben bis 1918 in ehemals Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika oder Namibia, Uganda, Tanganjika und Ruanda mit wilhelminischen Geist das Deutschtum den dort lebenden indigenen Menschen aufgepfropft oder gleich endgültige Tatsachen geschaffen.
Mensch und Frau, oder umgekehrt, verlassen den geheiligten Ort, um über die Milleniumsbrücke auf die gegenüber liegenden Seite der Themse zu wandern, um ins größte Museum für zeitgenössische Kunst zu wandern, um dort festzustellen, was ad hoc an Sonderausstellungen und anderen aus der großen Sammlung immer wieder ausgetauschten Werke gezeigt werden. Eine Sonderausstellung betrifft meistens die große Turbinenhalle, in der Ai Wei Wei den Boden einmal mit Keramikimitaten von Sonnenblumenkernen bedeckte und Doris Salcedo einen Erdbebenriss von 167 Meter Länge durch das gesamte Ausstellungsareal in den Betonboden mit brachialer Gewalt stemmen ließ. Das sieht auf den ersten Blick sehr besonders aus, wird auch von einigen Besuchern als schön bewertet werden, aber wenn Menschen ehrlich zu sich sind, sollten sie sich bei solchen riesengroßen Installationen auch fragen: „Was soll das, was soll es mir sagen, steckt dahinter eine Botschaft, die ich nicht verstehe oder bin ich zu blöd, diese als Kunstwerk getarnte Effekthascherei auch als Kunstwerk zu bewundern?“ Eins wird immer erreicht, dass die mediale Aufmerksamkeitsschwelle aufs Äußerste hochgepusht wird und für Aufsehen sorgt. Der kunstaffine Bürger sagt sich gleich, muss ich unbedingt gesehen haben.
Doris Salcedo sagt im O-Ton: „Die Installation steht für Grenzen, für Ausgrenzung und die Erfahrung mit Rassismus.“ Annika Yi, die ich ehrlich gesagt kaum kenne, versuchte sich mit einer Duftinstallation, wobei Nasennüstern stark beansprucht wurden. Nasser Hund, muffig, müffelnder Spülschwamm, aber auch andere Duftnoten erfüllten den großen und hohen Raum. Zusätzlich schwebten von Drohnen angetriebene Phantasiekreaturen, Mischungen aus Quallen, Insekten oder Extraterristen als durchscheinende Ballonwesen durch den Raum. Sie wurden von der Künstlerin Xenojellies genannt. Der Titel ist sehr spannend: „In Love With The World“. In Zeiten ökologisch konnotierter Weltbeobachtung kann sich jeder Betrachter und Beriecher dasjenige dazu denken, was Assoziationen mit den Sinnesorganen anstellen und als Bilder und Gedanken im Hirn mit seinerselbst anstellen.
Frau drängte aber, zunächst den neuen Anbau zu inspizieren, der vor nicht allzu langer Zeit über Pläne der Schweizer Oberarchitekten Herzog und de Meuron entstanden waren. Mensch sieht eine große Pyramide aus besonderen Ziegelsteinen, nicht die gleichen, wie die, mit denen der alte Bau des riesengroßen Kraftwerkes hochgezogen wurden, aber immerhin irgendwie in Form und Farbgebung ähnlich.
Zehn Stockwerke waren angegeben worden und jeder Besucher wäre heiß darauf gewesen, ganz oben über die City of London und nach Süden und Osten auf das schauen zu können, was schon seit 78 Jahren immer noch unverändert aussieht. Bei Stock 4 war aber Schluss, wobei Mensch nicht herausfinden konnte, ob „Members“ (Nichtzahlende) nicht doch bis in den sechsten Stock hochfahren konnten. Egal, was solls, denn Mensch fand das Bauwerk ohnehin misslungen. Die formale Anbiederung an die Bauweise der alten Tate erschien wie ein fauler Kompromiss und die lang gestreckten Fensterriegel, die von außen die Stockwerke mit Licht versorgten, verpatzten einen homogenen Eindruck einer ganzheitlichen Kombination. So ein Anbau wäre was für Peter Zumthor oder David Chipperfield oder Tadeo Ando als eine große Herausforderung gewesen, die sie sicherlich ebenso gut, wenn nicht besser gestaltet hätten. Nicht für die Basler, die offensichtlich immer noch nicht überwunden hatten, dass die irakisch-britische Stararchitektin Zaha Hadid in punkto Formenphantasie und Mut, mit ihren in sich schwingenden und verschlungenen Bauten immer die Nase ein Stück voraus hatte.
Das Namedropping, das gerade bei Museumsbauten immer eine entscheidende Rolle spielt, versagte hier beim Anbau der Tate Modern, obwohl die beiden Architekten schon den Umbau des Kraftwerkes in das außergewöhnliche Museum verantwortet hatten. War ihnen der weltweite Aha-Ruhm des sogenannten Vogelnestes zur Olympiade in Peking nicht genug architektonischer Hokuspokus gewesen oder hatten sie einfach ein paar schlechte Tage erwischt, als Schlichtheit und ästhetische Anpassung sich besser gemacht hätten. Allerdings ist die Brücke vom vierten Stock über die Turbinenhalle in die Tate eine wirklich gelungene Leistung. Frau warf noch zurecht ein, dass dieser Anbau von der Jury abhängig gewesen war, die schließlich die endgültige Entscheidung zu Gunsten von HudM fällten. Zu Jurys fällt Mensch in diesem Zusammenhang nicht viel Gutes ein.
Museen, Theater oder Sporthallen. Immer entsteht ein unseliger Reigen zwischen den Wünschen der Kunstverantwortlichen, der Politiker, der Geldgeber, der Stadtplaner und einer Expertengilde des Inner Circle´s aus Kuratoren, Sammlern, Medienmachern oder Fachjournalisten aus allen Herren Ländern. So verlaufen Entscheidungsfindungen bei vielen Bauwerken zeitgenössischer Architektur und ein aufstrebender wie ein etablierter Architekt will den jeweiligen Konkurrenten immer partout übertrumpfen, koste es was es wolle. Die Skyline der Londoner City zeigt deutliche Spuren dieses Machbarkeitswahns unter der Ägide einer Hybris, die im Abgesang des Neoliberalismus letzte Zuckungen zeigt. Die Architektur des Klimawandels und der ökologischen Zeitenwende wird anders aussehen, was Mensch schon bei den Architekturbienalen in Venedig beobachten konnte. Der Bürger, der außer der Zahlung seines staatlich fixierten Steuerobulus keinen oder kaum Einfluss auf urbane Veränderung hat, muss die fliegenden Hirnspiralen der Architektenzunft hinnehmen, ob es ihm gefällt oder nicht. Der Bauer bei Euskirchen wünschte sich eine Nikolauskapelle und traf auf Zumthor und sie fanden sich gleich sympathisch. Sie einigten sich und es entstand ein einzigartiges, kleines Sakralgebäude ohne im Vorfeld für zu viel Aufsehen zu erregen.
Wir müssen aufpassen, was auf unserer Erde noch gebaut wird, auch angesichts der 8 Milliarden Menschen, deren Masse hauptsächlich an der Peripherie der reichen Industriestaaten leben muss. Das extravagante Künstlergebaren mit Formexotik und kaum bezahlbarem Wohnraum gehört der Vergangenheit an, auch wenn in Europa, den USA, Canada und Australien Zukunftsdenken allzu oft Politikern obliegt, die im Gestern leben und das Morgen immer noch fürchten. Die sozialökologische Herausforderung verlangt nach neuen Konzepten und mutigen Macher-innen, die Überflüssiges und Hinderliches über Bord werfen, um Zukunft für alle zu schaffen.
Genug denkt Mensch und wendet sich wieder der Kunst zu, diesmal aber mit einer ernüchternden Bilanz, nachdem er die Tate modern ausgiebig durchwandert hat. Nichts Neues in UK und der übrigen Ersten Welt. Die beiden Sonderausstellungen Hilma af Klimt & Piet Mondrian „Forms of Life“ und Yayoi Kusama mussten zum einem nicht gerade kostengünstig bezahlt werden und zum anderen gibt Mensch unumwunden zu, die Gemälde von af Klimt als esoterische Dekokunst zu bewerten, gleichgültig welcher Kunstgeschichtler seitenlange Deutungen medial verbreiten ließ und darob verstanden hat, dass af Klimt und Mondrian als counterparts der Stilführung zu bewerten sind. Mondrian war und ist als Künstler eine unbestrittene Größe in der Entwicklung der Malerei. Selbstverständlich können Kuratoren Vergleichsexperimente inszenieren, aber ob diese Methode Komparatistik zu betreiben auch inhaltlich weiterführend ist oder nur als fiktiver Dialog der Formen und Farben verstanden werden kann, sei dahingestellt.
Eine Abteilung in einem Flügel beschäftigte sich mit sozialen Themen und dort fand Mensch zwei Beispiele für ironisch, satirische Umsetzung in künstlerisches Schaffen und eine unter die Haut gehende politische Anklage, die mit sparsamsten Mitteln die Thematik Rassismus, patriarchalisches Gendankengut aus der Gruselkiste der Misogynie so eindeutig präsentierte, dass Mensch diese Bildinstallation nicht mehr losließ. Die erst genannten Arbeiten waren von Jimmy Durham geschaffen worden, den Kunstkenner als wichtige Stimme der Black Community kennen und die andere Installation in einem Flur stammte von einer bosnischen Künstlerin mit einer Bildgestaltung zu der Frauen verachtenden Situation, die während und nach dem Bosnienkrieg herrschte. Mensch zeigt diese Bilder und schließt den Blog damit ab.
In eigener Sache möchte ich hinzufügen, dass immer wieder auftauchende Ansichten über die Vorbereitungen für Kunst- und Kulturreisen oft dem Glauben nachhängen, dass die vorbereitenden Menschen ein easy going haben würden, wenn sie große Städte oder kleinere Kunsorte genauestens so perfekt wie möglich examinieren, dass diejenigen, die hinterher als Besucher in einer Gruppe das Programm erleben, auch nicht den geringsten Zweifel an einer perfekten Vorbereitung haben. Wir können und konnten es uns niemals leisten, halbe Sachen vorzubereiten, indem wir alle Programmpunkte genauestens eruiert haben, um sie hinterher als perfekte Wissensgrundlagen zu präsentieren.
Vorbereitung bedeuten Tage mit bis zu zwanzig Kilometer Laufwege von Museum zu Museum, von Kathedrale zu Open-Air-Ausstellungen. Wir durchforsten ganze Quartiere oder urbane Versuchslabore für die kommenden Herausforderungen unserer Zeit, wie wir es beispielsweise in Arles vorstellen konnten.
Es ergeben sich Enttäuschungen und unvorhersehbare Veränderungen, weil sich bestimmte, vorher formulierte Angaben als unhaltbar erwiesen. Die Wege zwischen den einzelnen Präsentationen waren lang und sind lang und werden immer lang und anstrengend bleiben, auch weil wir Wege aussuchen, die kein Dreitagestourist jemals finden würde, wenn er nicht dort gelebt hätte.
Zusätzlich arbeitet Eva wochenlang im voraus zuhause, um vor Ort genau wissen zu können, was auf sie zukommt. Geschichte, Kultur, politische Entwicklungen oder Menschen und Macherinnen aus vielen Jahrhunderten.
Ich fotografiere und dokumentiere alles und mache mir zusätzlich die Mühe, vor Ort Blogs zu schreiben, um auch diese einmaligen Fundsachen für die Zukunft festzuhalten.
Nach Tagen in den unterschiedlichen Museen kann man schon gewisse psychogene Störungen bemerken, denn die Flut an Eindrücken und das daraus resultierende Bewerten treibt einen in eine Blase, aus der abends oft kein Entrinnen ist. Bilbao, Arles, Athen, Palermo, Marseille, Venedig (ganz besonders herausfordernd) und all die Städte und Regionen Europas, die mit Evas unglaublicher Disziplin, ihrem Wissen und den daraus folgernden Anstrengungen und meiner bescheidenen Hilfe für alle Reisenden zu unvergesslichen Erlebnissen werden konnten. London als Megamolochcity oder Metropolstadt ist eine besonders spezielle Herausforderung, aber auch diese Vorbereitung wird in eine gelungene Performance eingebunden werden. Soviel dazu.